Unterricht neu denken: So wurde in Mosonmagyaróvár aus einem Schulgebäude ein lebendiger Erfahrungsraum
In einem barocken Schulgebäude in Ungarn ist ein zeitgemäßer Lernort entstanden – mit durchdachter Raumstruktur, pädagogischem Konzept und einem klaren Blick auf die Zukunft des Bildungsbaus.

Räume haben im Bildungsdiskurs an Bedeutung gewonnen. Architektur wird zunehmend als Mitgestalterin von Lernprozessen verstanden: Sie strukturiert, begleitet und inspiriert. Das barocke Schulgebäude des Piaristengymnasiums von CAN Architects im ungarischen Mosonmagyaróvár verkörpert genau diesen Ansatz. Hier trifft historisches Erbe auf gegenwärtige Pädagogik – mit einem klaren Ziel: eine Architektur, die Lernen ermöglicht, Haltung formt und Identifikation stiftet.

Bildung als räumlicher Prozess
Moderne Schularchitektur orientiert sich an der Frage, wie Räume Lernprozesse sinnvoll unterstützen. Reine Flächenerweiterung reicht dafür nicht aus. Gefragt sind funktionale Übergänge, nachvollziehbare Bezüge und ein Umfeld, das vielfältige pädagogische Konzepte zulässt. In Mosonmagyaróvár ist daraus ein Konzept entstanden, das Lernräume als wandelbare Erfahrungsräume versteht.
Begriffe wie „Flur“ oder „Klassenzimmer“ wurden überdacht. Entstanden ist eine räumliche Sprache, die dem pädagogischen Alltag neue Impulse gibt: Der Flur wird zur Lernlandschaft, die Kantine zur Sommerküche, der Innenhof zur Piazza. Solche Umdeutungen schaffen neue Bedeutungen und beeinflussen darüber hinaus die Art und Weise, wie diese Räume wahrgenommen und genutzt werden.
Ein Gebäude als wandelbares System
Die bauliche Transformation erfolgte in Etappen – durchdacht, funktional, anschlussfähig. Der südöstliche Gebäudeflügel markierte den Auftakt. Ein ehemals ungenutzter Innenhof wurde zu einem lichtdurchfluteten Raumgefüge umgebaut, dessen Zentrum eine skulpturale, blau gefasste Treppe bildet. Sie steht frei im Raum, verbindet Geschosse und schafft ein neues räumliches Zentrum.
Um dieses neue Element gruppieren sich unterschiedlich nutzbare Raumzonen. Die Gestaltung ermöglicht neben klassischem Unterricht ebenso projektorientiertes, kooperatives Arbeiten. Bestehende Raumstrukturen blieben dabei bewusst erhalten. Statt sie aufzugeben, wurden sie funktional erweitert – ein respektvoller Umgang mit dem Bestand, der Zukunftsfähigkeit ermöglicht.
Auch in der Vertikalen eröffnet das Gebäude neue Potenziale: Balkone, Galerien, Rückzugsorte und abgesenkte Ebenen erzeugen räumliche Tiefe. So entsteht ein Umfeld, das Bewegungsfreiheit bietet und gleichzeitig Orientierung schafft. Architektur und Pädagogik treten in einen produktiven Austausch.



Lernen als räumliche Erfahrung
Die Planung orientiert sich an einem anthropologischen Modell: Verschiedene Altersgruppen erhalten räumliche Analogien – das schützende „Zuhause“, das offene „Mietshaus“, der lebendige „städtische Raum“. Diese Idee prägt auch die nun realisierten Umbauten. Die Räume vermitteln Vertrautheit, fördern individuelle Entwicklung und laden zur Mitgestaltung ein.
Die große Treppe wird zur Bühne für das Miteinander – ein Ort für Gespräche, Impulse und spontane Begegnungen. Der umlaufende Kreuzgang vernetzt Geschosse, schafft Blickbeziehungen und macht Orientierung intuitiv erlebbar. Die angrenzenden Räume differenzieren zwischen ruhigem Rückzug, aktiver Zusammenarbeit und konzentriertem Lernen.
Architektur als Werkzeug des Alltags
Die Gestaltung setzt auf gezielte Mittel. Sichtbezüge, Lichtführung, Materialien und akustische Qualitäten greifen ineinander. Die Räume sind nicht überladen, sondern klar gegliedert. Es entstehen Umgebungen, die im Alltag funktionieren und sich langfristig bewähren – und keine bloßen Showräume.
Auch die Sommerküche steht für diese Haltung. Sie ersetzt die klassische Mensa durch einen Ort, der Kochen, Essen, Lernen und Austausch vereint. Das Alltägliche wird Teil des Bildungsraums. Die Schwelle zwischen Leben und Lernen wird bewusst niedrig gehalten – eine Einladung zur Aneignung.
Bestand als Zukunftsressource
Das Projekt in Mosonmagyaróvár macht deutlich, welches Potenzial im Weiterbauen liegt. Historische Gebäude können aktuelle Anforderungen erfüllen und zukunftsfähige Bildung tragen. Die bestehende Struktur bildet eine verlässliche Grundlage, auf der neue Raumkonzepte entstehen. Räume sind klar definiert, doch vielseitig nutzbar. Keine Fläche bleibt ungenutzt, keine Konstruktion wirkt überflüssig. Durchdachte Verbindungen und funktionale Offenheit erzeugen eine Umgebung, die sich im Schulalltag bewährt – ohne laute Gesten, aber mit starker Wirkung. Lernen wird hier nicht als festes Format gedacht, sondern als beweglicher, offener Prozess.
Die räumliche Transformation in Mosonmagyaróvár entstand aus einem intensiven, gemeinschaftlich getragenen Planungsprozess. Bereits in der frühen Konzeptphase arbeiteten Architekten, Innenarchitekten, Umweltpsychologen, Statiker, Lichtplaner, Akustiker und Pädagogen eng zusammen. Auch die Lehrkräfte waren von Anfang an beteiligt – ihr Erfahrungswissen prägte die Entwurfsentscheidungen maßgeblich mit. So entwickelte sich ein tiefes Verständnis dafür, wie Räume nicht nur gestaltet, sondern auch erlebt und mit Leben gefüllt werden.
Impulse aus einer gestalterisch-künstlerischen Perspektive kamen von der Textilkünstlerin und Kunstpädagogin Szilvia Vereczkey. Ihre Sicht auf Material, Platzierung und Atmosphäre ergänzte den architektonischen Ansatz um eine sinnliche, experimentelle Ebene. Im Gespräch über Ordnung, Veränderung, Gewohnheit und Vielfalt entstanden Überlegungen, die über klassische Raumnutzung hinausgehen. Der Blick auf Textilien, Strukturen und textile Raumgrenzen schärfte das Bewusstsein für räumliche Feinabstimmungen. So wurden gestalterische Entscheidungen sowohl technisch als auch atmosphärisch nachvollziehbar.



Bautafel
- Projektbezeichnung: Umbau eines denkmalgeschützten Gebäudes für das Piaristengymnasium, die Grundschule und den Kindergarten in Mosonmagyaróvár
- Architektur: CAN Architects
- Standort: Mosonmagyaróvár, Ungarn
- Planungsjahr / Fertigstellung: 2021 / 2025
- Projektleitung: Cseh András DLA, Élő József, Köninger Szilárd, Németh Dávid, Tátrai Ádám
- Architekten im Projektteam: Horváth Márton, Vadász Vanessza
- Fotografie: Alex Shoots Buildings
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