Die Geometrie der Moderne war lange Zeit ein Versprechen. Gerade Linien, klare Formen, funktionale Raster – sie sollten Ordnung in eine Welt im Umbruch bringen. Doch was passiert, wenn dieser Ordnung das Lebendige fehlt? Wenn Räume nicht aus Formen, sondern aus Beziehungen bestehen? Mit der Ausstellung „Beyond Geometry. Frei Otto x Kengo Kuma“ nähern sich die Kunstsammlungen Chemnitz am Theaterplatz zwei Architekten, die auf sehr unterschiedliche Weise das starre System der Geometrie durchlässig gemacht haben.

Die Ausstellung läuft vom 3. April bis 29. Juni 2025 und setzt ein kuratorisches Zeichen: Es entsteht ein experimenteller Dialog, der auf Gegenüberstellung setzt statt auf Chronologie. Was beide verbindet, ist das Streben nach Raumkonzepten, die sich über Material, Struktur und Atmosphäre entfalten – nicht über Form.
Material denkt mit
Frei Ottos Entwürfe stehen für das radikale Umdenken von Tragwerk und Konstruktion. Seine Hängemodelle, Gitterschalen und Membranbauten haben eine Ästhetik hervorgebracht, die durch physikalische Logik geformt ist – nicht durch architektonisches Vorbild. Das Material wird zur Entwurfsgrundlage, nicht zum passiven Träger. Frei Ottos Arbeiten sind immer auch Experimente mit Kräften, Spannungen, Prozessen.



Kengo Kuma wiederum geht den Weg über die Auflösung. Seine Architektur setzt auf Diffusion statt Begrenzung, auf Durchlässigkeit statt Massivität. Er verweigert sich dem Dogma der westlichen Monumentalität und entwickelt Räume, die leicht, porös und kontemplativ wirken. Dabei bezieht er sich oft auf Handwerkstechniken, lokale Baustoffe und kulturelle Kontexte. Architektur wird zu einem Prozess des Verwebens – von Ort, Geschichte und Material.


Dialog zwischen den Zeiten
Die Ausstellung bringt Originalzeichnungen, Modelle und Fotografien beider Architekten in eine visuelle und gedankliche Beziehung. Sie macht erfahrbar, wie konstruktives Denken und poetisches Raumverständnis keine Gegensätze sein müssen. Frei Ottos experimentelle Versuchsanordnungen und Kengo Kumas atmosphärische Kompositionen verhandeln beide das Verhältnis von Leichtigkeit, Struktur und Umgebung – mit völlig unterschiedlichen Mitteln.
Die Annäherung entsteht durch räumliche Erfahrung, nicht durch erklärenden Text. Die Besucher*innen sollen Übergänge selbst entdecken, Parallelen wahrnehmen, Brüche spüren. Es geht weniger um Analyse als um das Erlebnis: Wie fühlt sich ein Raum an, der aus Linien besteht, die verschwinden? Der sich leise integriert statt sich aufzudrängen?
Architektur als Beziehung
Beyond Geometry stellt die Frage, wie Architektur sich in ein größeres Gefüge einbettet – ökologisch, sozial, kulturell. Beide Architekten stehen für ein Denken, das den Entwurf als Reaktion auf Gegebenheiten versteht – und nicht als Selbstinszenierung. Statt zu dominieren, reagieren ihre Gebäude. Statt sich abzugrenzen, verbinden sie. Architektur wird zur Haltung – und zur Haltung gehört auch die Bereitschaft, Strukturen zu hinterfragen.
Diese Denkweise ist hochaktuell, gerade im Kontext von Bildungsbau. Wenn Räume über die Funktion hinaus auch atmosphärisch gedacht werden, wenn Strukturen sich auf ihre Umgebung einlassen können, entsteht ein Ort, der Lernen begünstigt statt es zu begrenzen.
Die Ausstellung in Chemnitz ist daher weit mehr als eine Werkschau. Sie ist ein Beitrag zur Frage, wie Architektur künftig entworfen, gebaut und gedacht werden kann – im Spannungsfeld zwischen Reduktion und Sinnlichkeit, zwischen Leichtigkeit und Verantwortung.
Ausstellungsdetails
- Titel: Beyond Geometry. Frei Otto x Kengo Kuma
- Laufzeit: 3. April bis 29. Juni 2025
- Ort: Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz
- Adresse: Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz
- Website: www.kunstsammlungen-chemnitz.de
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