Marille-Schule in Berlin: Eine neue Bildungsvision sucht Raum zur Entfaltung

Selbstbestimmtes Lernen, flexible Strukturen und gelebte Inklusion: Die Marille-Schule will 2025 in Berlin starten – doch noch fehlt das passende Schulgebäude. Mitgründerin Ann-Kathrin Keppke gibt Einblicke in das Konzept und den aktuellen Stand.

7. April 2025
Marille Schule

Eine Schule ohne Noten, mit individueller Förderung, projektbasiertem Lernen und partizipativer Leitung: Die Marille-Schule in Berlin will Bildungsräume neu denken. Ihr pädagogisches Konzept steht – nun fehlt nur noch das passende Schulgebäude. Im Interview erklärt Mitgründerin Ann-Kathrin Keppke, wie sie sich zukunftsfähige Bildung vorstellt, welche Rolle Selbstbestimmung spielt und warum Flexibilität und Inklusion im Mittelpunkt stehen.

Credit: Marille e.V.

SCHULBAU: Frau Keppke, Sie haben eine Schule gegründet, aber kein Schulgebäude. Welche Anforderungen stellen Sie denn an Ihre Immobilie?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Weil unser Schulkonzept viel Gestaltungsraum für Anliegen und Wünsche der Schulgemeinschaft lässt, sind wir für verschiedene Raummöglichkeiten flexibel. Natürlich brauchen wir offene Räume für gemeinsame Aktivitäten und Rückzugsmöglichkeiten, die den Schüler*innen Raum für konzentriertes Arbeiten bieten, sowie eine Fläche, die wir als Schulhof nutzen können. Zudem sollte das Gebäude so konzipiert sein, dass es mit der Schule mitwachsen kann. Anfänglich bräuchten wir 600 m², grundsätzlich rechnen wir mit einer Mindestgröße um 1.200 m² und einer Maximalgröße von 6.000 m².

SCHULBAU: Was hat Sie dazu bewogen, eine eigene Schule zu gründen?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Ich hatte das Gefühl, dass in der Schule viel Zeit verschwendet wird. Nach meiner Schulzeit habe ich Erziehungswissenschaften studiert und an dem Projekt „Weltlernreise“ der Initiative „Kreidestaub“ teilgenommen, bei dem wir Schulen in verschiedenen Ländern besucht haben. Wir sahen viele gute Ansätze, aber nichts, das unsere Vorstellungen vollständig erfüllte. Am Ende der Reise stand fest: Wir müssen selbst eine Schule gründen.

SCHULBAU: Wie sieht das pädagogische Konzept der Marille-Schule aus?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Die Marille-Schule soll ein Ort werden, an dem sich alle beteiligten Menschen wohlfühlen und entfalten können. Jeder lernt dort, aktiv an der Welt teilzunehmen und diese zukunftsfähig zu gestalten. Das pädagogische Konzept basiert auf flexiblen Lernangeboten, die sich alle Schülerinnen selbstständig mit der Unterstützung von Mentor*innen zu einem individuellen Stundenplan zusammenstellen. Die Schüler*innen können Lernangebote auch selbst für andere Kinder und Jugendliche anbieten.

Stammgruppen bieten darüber hinaus eine soziale Basis, während Lernformate aller Art und themenübergreifende Angebote den Schulalltag abwechslungsreich gestalten. Uns ist wichtig, dass Lernen für die Kinder etwas Positives bleibt, etwas was ihnen Spaß macht und sie mit Sinn erfüllt.

SCHULBAU: Wie sieht die soziale Eingebundenheit in Stammgruppen und mit Mentoring konkret aus?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Das Mentoring unterstützt die Schüler dabei, sich an der Marille wohlzufühlen sowie ihre Ziele zu definieren und zu erreichen. Zusätzlich bieten wir regelmäßige Reflexionsgespräche an, um den individuellen Lernprozess zu begleiten und anzupassen. Der Fokus liegt dabei stets darauf, dass sich jeder Schüler entsprechend der eigenen Stärken, Interessen und Bedürfnisse entwickeln kann. Die enge Verzahnung von individueller Förderung und gemeinschaftlichem Lernen schafft eine Balance zwischen persönlicher Entfaltung und sozialem Miteinander, was für uns ein wesentlicher Bestandteil des Bildungsprozesses ist.

Schüler sollen sogar ihre Stundenpläne weitestgehend selbst gestalten können.

Das klingt nach einer großen Freiheit, doch die Strukturen dafür sind durchdacht. Die Schüler werden durch ihre Mentoren unterstützt, die gemeinsam mit ihnen die Pläne entwickeln. Am Ende des Quartals gibt es eine Lernangebotsgala, bei der sowohl Lehrkräfte als auch Lernende ihre Angebote vorstellen. So können die Kinder und Jugendlichen selbst entscheiden, welche Lernangebote sie in den nächsten Monaten wahrnehmen wollen und was vielleicht lieber nicht.

Die Idee dahinter ist, dass Lernen am besten funktioniert, wenn es aus eigenem Interesse geschieht. Lernen macht Spaß, wenn man selbst mitbestimmen kann, dass man lernt.

SCHULBAU: Auch bei der Leistungsrückmeldung setzen Sie größtenteils auf alternative Formen. Welches Konzept steckt dahinter?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Statt Noten gibt es eine individuelle Lernlandkarte, die die Entwicklung der Schülerinnen transparent macht. Das soll nicht nur den Kindern selbst zeigen, wie weit sie sind, sondern auch den Eltern eine klare Übersicht bieten, wo ihre Kinder stehen. Ein enges Verhältnis zwischen Mentor*innen, Schüler*innen und Eltern ist dabei essenziell. Es geht nicht darum, dass jedes Kind in allen Fächern gleich gut ist. Vielmehr wird die Vielfalt der Interessen und Fähigkeiten gewürdigt. Sollte ein Kind zum Beispiel Mathe nicht wählen, dann ist das ein Hinweis darauf, dass die Angebote oder die Art des Unterrichts noch nicht passend sind. Diese Rückmeldung wird genutzt, um das Angebot entsprechend anzupassen.

SCHULBAU: Die Marille-Schule soll eine partizipative Schulleitung haben, die auch die Kinder mit einbezieht. Wie wollen Sie die Schüler einbinden?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Das Konzept der partizipativen Schulleitung ist ein weiteres Herzstück von Marille. Die Schüler*innen sollen aktiv in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Für die jüngeren Kinder wird es dabei eine altersgerechte Einführung geben, damit sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und ihre Schule mitzugestalten. Es ist ein neues Modell, und wir wissen noch nicht, ob es von Anfang an so funktionieren wird, wie wir uns das vorstellen. Aber wir sind bereit, mit den Herausforderungen zu wachsen und die Strukturen flexibel anzupassen.

SCHULBAU: Sie planen ein flexibles Schuljahr mit festgelegten Zeiten für Projekte, Praktika und Schulentwicklungstage. Welche Partner haben Sie dafür bereits an Bord und welche können Sie sich langfristig vorstellen?

ANN-KATHRIN KEPPKE: In der Startphase ist es uns besonders wichtig, die Projektarbeit gezielt zu integrieren. Wir planen zunächst mit Partner aus der Region, die bereits Interesse signalisiert haben, wie lokale Handwerksbetriebe, kulturelle Institutionen und soziale Einrichtungen. Diese Kooperationen sollen den Schülern die Möglichkeit geben, praxisnahe Erfahrungen zu sammeln und ihre Kompetenzen in realen Projekten zu erproben.

Langfristig möchten wir unser Netzwerk auch auf überregionale und internationale Partnerinnen ausweiten, um den Kindern eine noch breitere Perspektive zu bieten. Es ist uns wichtig, den sozialen Raum der Schule stetig zu erweitern und dabei auch externe Experten und Ehrenamtliche einzubeziehen. Dadurch soll die Schule zu einem lebendigen Ort werden, an dem Lernen und gesellschaftliches Engagement Hand in Hand gehen.

SCHULBAU: Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Schule von Anfang an inklusiv zu gestalten?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Das langfristige Ziel der Marille-Schule ist es, ein Modell zu schaffen, das auch auf andere Orte übertragen werden kann. Ein inklusiver Ort, der den Bedürfnissen aller Schüler*innen gerecht wird und in dem das Lernen Spaß macht. Wir wollen so viele Kinder wie möglich erreichen und ihnen die Chance geben, sich frei zu entfalten. Dabei ist es uns wichtig, dass die Schule nicht nur für eine bestimmte Gruppe zugänglich ist. In der Aufbauphase soll das Schulkonzept durch gezielte Maßnahmen sicherstellen, dass alle sozialen Milieus vertreten sind. Wir wollen einen Ort schaffen, der den aktuellen Herausforderungen gerecht wird und in die Zukunft denkt – eine Schule, die offen ist für die Entwicklungen einer sich ständig wandelnden Welt.

SCHULBAU: Was bedeutet für Sie zukunftsfähige Bildung?

ANN-KATHRIN KEPPKE: Zukunftsfähige Bildung bedeutet für uns, dass die Schüler lernen, Verantwortung für ihr eigenes Lernen und ihre Umwelt zu übernehmen. Wir möchten sie befähigen, kritisch zu denken, Probleme kreativ zu lösen und aktiv an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen. Dazu gehört, dass sie nicht nur fachliches Wissen erwerben, sondern auch soziale Kompetenzen und die Fähigkeit, in einer globalisierten Welt flexibel und anpassungsfähig zu agieren. Wir setzen auf projektbasiertes Lernen, interdisziplinäre Ansätze und die Einbindung externer Experten, um den Kindern die Möglichkeit zu geben, ihr Wissen in realen Kontexten anzuwenden.

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