Unterwegs-Schule: Wie mobiles Lernen Schule neu denkt

Unterwegs-Schule: Interview mit Florian Nohl über mobiles Lernen, Raumkonzepte und pädagogische Freiheit Pädagoge Florian Nohl spricht über das Konzept der Unterwegs-Schule – eine mobile Bildungsform, die Lernen ins Leben holt und Schularchitektur neu denkt.

27. März 2025
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Lernen außerhalb des Klassenzimmers

das verfolgt die Unterwegs-Schule als pädagogischen Ansatz. In regelmäßigen Abständen verlagert sie ihren Standort, um Lernprozesse in reale Kontexte einzubetten. Im Interview spricht Schulentwickler und Pädagoge Florian Nohl über die Idee hinter dem Konzept, über mobile Raumstrukturen, partizipative Prozesse und die Herausforderung, Schulbau im wortwörtlichen Sinne beweglich zu machen.

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Credits: Florian Nohl

SCHULBAU: Wie kam es zu der Idee der Unterwegs-Schule und welche pädagogischen Konzepte liegen diesem Projekt zugrunde?

FLORIAN NOHL: Die Idee entstand durch meine langjährige Beschäftigung mit Schulentwicklung und Reisen zu Schulen, die der Film „Treibhäuser der Zukunft“ von Reinhard Kahl porträtiert. Als Schulleiter habe ich mit dem Kollegium eine Real- in eine Gemeinschaftsschule mit Inklusion und Projektarbeit transformiert. Nach einer persönlichen Veränderung habe ich die Frage gestellt, wo Lernen wirklich stattfindet. Die wesentlichen Lernerfahrungen passieren oft außerhalb des klassischen Schulgebäudes – bei Ausflügen und Klassenfahrten. So entstand die Idee, eine Schule zu schaffen, die alle fünf bis sechs Wochen an einen neuen Ort geht, um dort im Kontext zu lernen.

SCHULBAU: Wie beeinflusst die modulare Bauweise die Gestaltung der Räume und die pädagogischen Möglichkeiten innerhalb der Unterwegs-Schule?

FLORIAN NOHL: Die modulare Bauweise der Jurten schafft funktionale, aber wandelbare Raumkonstellationen: Zwei verbundene Jurten bieten Raum für Gruppenarbeit sowie Präsentationen. Die Raumgestaltung ist multifunktional und einfach gehalten, was eine schnelle Anpassung an verschiedene Lernaktivitäten ermöglicht. Wenig Mobiliar und die Möglichkeit, im Freien zu lernen, fördern die Bewegungsfreiheit und das zentrale Ziel der Unterwegs-Schule, Lernen kontextbasiert und erlebnisorientiert zu gestalten.

SCHULBAU: Mobile Bildungsräume klingen auch nach Herausforderungen. Wie begegnen Sie diesen bei der Planung und Umsetzung?

FLORIAN NOHL: Herausforderungen gibt es viele. Wir müssen geeignete Orte finden und umsetzen, was viel Zeit und Abstimmung erfordert – insbesondere in Bezug auf Fragen der Sicherheit und des Lernfortschritts der Kinder. Diese Bedenken müssen ernst genommen werden. Wichtig ist auch, dass die Kommunikation und Beteiligung aller Interessengruppen adressiert wird. Es geht zudem darum, gegen die Systemkonformität vieler Lehrer*innen zu argumentieren, die oft sicherheitsorientiert sind. Hier braucht es Mut, neue Wege zu gehen und konsequent zu begründen, was beim Lernen wichtig ist.

SCHULBAU: Wie wird bei der Planung der Unterwegs-Schule die Flexibilität der Lernumgebung berücksichtigt, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schüler*innen gerecht zu werden?

FLORIAN NOHL: Es gibt nicht die eine Schülerin oder den einen Schüler – es sind unterschiedliche Lerner*innen, die durch ihre Vorerfahrungen und aktuellen Lebenssituationen geprägt sind. Unterschiedliche Interessen erfordern ein vielfältiges Angebot und passende Lernmöglichkeiten. Durch den Wechsel der Lernorte und die modulare Bauweise entsteht ein reichhaltiges und anpassungsfähiges Lernumfeld, das individuell gerecht werden kann.

SCHULBAU: Und wie sieht es mit der Mobilität aus – welche technischen und logistischen Maßnahmen ergreifen Sie, um die Schule an verschiedenen Standorten betreiben zu können?

FLORIAN NOHL: Die Mobilität ist Teil des Konzepts – nicht nur logistisch, sondern auch als Lernmittel, das den Umgang mit Veränderung vermittelt. Es spielt aus meiner Sicht eine Rolle, dass man mit Naturmaterialien arbeitet, die man nicht oder nur begrenzt industriell fertigen kann. Räume müssen bestimmte Funktionen ermöglichen: Man muss einzeln in Ruhe arbeiten können, verschiedene Sitzpositionen nutzen, kollaborativ arbeiten und präsentieren können. Vor allem aber muss man ins Gespräch kommen können – das ist das Wichtigste.

SCHULBAU: Womit wir beim Thema Nachhaltigkeit sind: Wie wird diese bei der Umsetzung des Projekts gewährleistet und welche umweltfreundlichen Materialien und Technologien kommen dabei zum Einsatz?

FLORIAN NOHL: Die Jurten bestehen aus heimischer Douglasie und Schafwolle, was sie langlebig und umweltfreundlich macht. Die Dämmung erfolgt mit nachhaltigen Materialien, auf der Außenseite sind recycelte Materialien wie LKW-Planen angedacht. Die Jurten werden regional im Odenwald von einem Jurtenbauer gefertigt, der Wert auf lokale Wertschöpfung legt. Energie soll durch Solarpanels und Holzöfen gesichert werden, was einen bewussten Umgang mit Ressourcen fördert. Auch bei der Toilettennutzung setzen wir auf umweltfreundliche Lösungen wie Trenntoiletten.

SCHULBAU: Wie wird die Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinden und Behörden organisiert, um den Betrieb der Unterwegs-Schule reibungslos zu gestalten?

FLORIAN NOHL: Die Zusammenarbeit erfolgt durch frühe Einbindung in den Planungsprozess. Regelmäßige Präsentationen und Diskussionen vor Ort fördern das Verständnis und die Akzeptanz des Projekts. Langfristig soll ein Netzwerk von Schulen und Gemeinden aufgebaut werden, das die Idee der Unterwegs-Schule mitträgt. Diese Kooperationen helfen dabei, die notwendigen Ressourcen und Genehmigungen zu erhalten.

SCHULBAU: Um das Lernen zu unterstützen und zu erweitern, verwenden Sie auch digitale Technologien und moderne Kommunikationsmittel. Wo kommen diese zum Einsatz?

FLORIAN NOHL: Digitale Medien ermöglichen die Dokumentation und Präsentation von Lernerfahrungen, den Austausch von Daten und die Zusammenarbeit zwischen Lernenden und Lehrenden. Tablets und Apps helfen dabei, Lerninhalte zu vertiefen und den Zugang zu erweitern. Gleichzeitig wird darauf geachtet, die Nutzung digitaler Medien zu regulieren und die Schüler*innen anzuregen, sich intensiv und bewusst mit den realen Lernumgebungen auseinanderzusetzen.

SCHULBAU: Auf welche Art wird die Qualität des Unterrichts und der Lernumgebung regelmäßig evaluiert und sichergestellt?

FLORIAN NOHL: Evaluation bedeutet, eine Systematik im Hinterkopf zu haben und die Aktivitäten gezielt vorzubereiten. Lernprozesse sollen nicht dem Zufall überlassen bleiben. Im Kollegium muss curricular gearbeitet und besprochen werden, wie Lernnachweise aussehen. Eine breite Palette an Lernnachweisen ist wichtig, wobei auf Qualität geachtet werden muss. Das bedeutet, dass Unterricht nicht nur Reproduktion fördert, sondern auch höhere kognitive Fähigkeiten wie Bewerten und Analysieren. Traditionelle Messinstrumente sind oft ungeeignet. Wir benötigen ein Konzept, das auch die gesellschaftlichen Prozesse stärkt und die Schüler*innen aktiv einbindet.

SCHULBAU: Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie mit der Unterwegs-Schule und wie sehen Ihre Visionen für die Zukunft dieses Projekts aus?

FLORIAN NOHL: Langfristig soll die Unterwegs-Schule als textbasierte Lernumgebung dienen. Ziel ist es, das Lernen zu einem aktiven und erfahrungsbasierten Prozess zu machen, der über die Grenzen traditioneller Schulgebäude hinausgeht. Die Vision umfasst nicht nur die Verbreitung der Unterwegs-Schule, sondern auch Konzepte wie ein Netzwerk von Partnerschulen. Es geht darum, auch Universitäten und Hochschulen in diesen Prozess einzubinden. So soll das Lernen insgesamt verändert und verbessert werden.

SCHULBAU: Kann den Schüler*innen in einem mobilen Lernumfeld dennoch ein Gefühl der Stabilität und Kontinuität vermittelt werden?

FLORIAN NOHL: Die Gruppe spielt eine zentrale Rolle. In einem mobilen Lernumfeld muss man sich intensiv mit der Lerngruppe auseinandersetzen. Vertrauen und aktive Beteiligung sind entscheidend. Ein fester Raum muss nicht zwingend ein klassischer Schulbau sein, auch eine Gemeindehalle wäre möglich. Hier werden gemeinsame Regeln und Lernkonzepte diskutiert und demokratische Prozesse gelebt – zwischen individualisierter Arbeit und gemeinschaftlichem Denken.

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